BuchAusschnitt aus dem Artikel “Work on what works (WOWW) – Wertschätzung offenbart wahre Wunder! Erschienen in: Vogt, Manfred (Hrsg.): WOWW in Aktion, Lösungsfokussierte Praxis macht Schule. Dortmund 2015, S. 69 – 83.

Work on what works (WOWW) – Wertschätzung offenbart wahre Wunder! – ein Erfahrungsbericht aus der Praxis –

Martin Baumgartner-Kuschel & Johanna Lohmann

Dieser Artikel beschreibt die Einführung des WOWW-Ansatzes in einer 6. Integrationsklasse an einer Hauptschule in Uelzen, die ich als Klassenlehrerin unterrichte. Die Klasse besuchen momentan 18 Schüler und Schülerinnen, davon acht mit einem festgestellten besonderen sonder-pädagogischen Unterstützungsbedarf. Kein Kind wurde auf einen besonderen sonder-pädagogischen Unterstützungsbedarf im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung überprüft, aber fünf Schüler/innen haben ein diagnostiziertes Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom. Sechs weitere haben aus verschiedenen Gründen zum Teil ausgeprägte Schwierigkeiten im Verhalten. Diesen elf Kindern fällt es sehr schwer, sich an bestehende Regeln zu halten und sich in die Klassengemeinschaft einzufügen.

Aufgrund der Schüler mit festgestelltem besonderen sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf, denen viele Stunden von einem Förderschullehrer zustehen, findet ein großer Teil des Unterrichts mit zwei Lehrern statt. So können die unterschiedlichen Leistungsstände ausgeglichen werden, und es ist möglich, auf einzelne Schüler/innen besser einzugehen. Derart können Konflikte teilweise direkt gelöst werden, bevor sie eskalieren. Die auffälligen Verhaltensweisen bei einem so großen Teil der Klasse verlangsamen und erschweren einen normalen Gruppenbildungsprozess deutlich und stellen alle Lehrer vor besondere pädagogische Herausforderungen.

Gerade die Pausen waren sehr anfällig für schwere Konflikte, da viele Schüler/innen nicht gelernt haben, angemessen ihre Bedürfnisse mitzuteilen und miteinander umzugehen. Die daraus resultierende starke Anspannung wirkte sich häufig auf die folgenden Unterrichtsstunden aus. Der Schulalltag war geprägt von körperlichen Auseinandersetzungen, Beleidigungen und Erniedrigungen von Mitschüler/innen. Fast alle konnten aus diesem Grund nur noch sehr angespannt am Unterricht teilnehmen und brauchten häufige Auszeiten, um den Schultag zu überstehen.

Diese Situation wirkte sich stark auf die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler aus. Durch die täglichen kleinen und großen Kämpfe geriet das Lernen in den Hintergrund. Der Unterricht war geprägt von Unterrichtsstörungen und immer deutlicher gezeigter Schulunlust. Als Konsequenz wurden unter anderem mehrere Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmenkonferenzen durchgeführt. Mir war aber klar, dass mehr passieren musste, da dieses nur Reaktionen und keine Lösungen waren. Aus diesem Grund luden wir einen Coach ein, der mit der Klasse arbeiten und diese verändern sollte.

  1.  Der WOWW-Ansatz  

Perspektive Coach

Ich bin selbständiger Coach und zu zwei Dritteln meiner Arbeitszeit an Schulen tätig. Während meiner Ausbildung zum lösungsorientierten Supervisor lernte ich den Ansatz von Insoo Kim Berg kennen. Ich weiß noch, wie beeindruckt ich von einem Video über den WOWW-Ansatz war. Es zeigte auf überzeugende Weise, wie Insoo Kim Berg mit einer 5. Klasse in den Niederlanden arbeitete und wie es sich auf die Schüler/innen auswirkte. In der Klasse kam es zu vielen Konflikten und die Lehrer beschrieben wie schwer ihnen das Unterrichten in der Klasse falle. Mit Hilfe des WOWW-Ansatzes wandelte sich innerhalb von drei Monaten das Verhalten der Schüler/innen in fast schon wundersamer Weise zu einer tragfähigen Klassengemeinschaft, die vor allem von gegenseitigem Respekt gekennzeichnet war.

Dieses Video animierte mich, diesen Ansatz praktisch umzusetzen und meine bisherigen Vorgehensweisen zu erweitern. Wenn ich jetzt von Schulen engagiert werde, weil dort Konflikt-, Krisen- und Gewaltsituationen auftreten, biete ich in der Regel den WOWW-Ansatz an, da ich keine andere Intervention kenne, die vollständig wertschätzend ist und ausschließlich die Fähigkeiten der Schüler/innen in dem Klassenverband ins Zentrum rückt. Darauf zu schauen, was Menschen können, macht mir sehr viel Freude und in der Auswirkung erlebe ich, dass es allen anderen Beteiligten auch so geht.

Bei einer Beauftragung durch eine Schule klären wir im Vorgespräch gemeinsam mögliche Ziele, die Rahmenbedingungen und die Erwartungen an mich als Coach.

Mit folgenden (möglichen) Fragen wird bei der Auftragsklärung die Situation der Klasse aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet:

Im Erstgespräch beschreiben die Lehrer Verhaltensweisen der Schülerinnen, die sie als problematisch erachten. Häufig sprechen sie davon, dass die Schülerinnen nicht in der Lage sind, ruhig auf ihrem Platz zu sitzen, keinen Respekt gegenüber Lehrkräften und Mitschülerinnen zeigen oder gewalttätig sind. Erklärungsansätze reichen von Beschreibungen verschiedener Krankheitsbilder über schwierige familiäre Situationen bis hin zu Überforderungssituationen der Lehrerinnen durch extreme Unterschiede im Leistungsniveau der Schüler/innen und fehlenden sozialen Kompetenzen. Auch wenn es Lösungsansätze und Ausnahmen von Problemzuständen gibt, beschreiben Lehrerinnen meist einen Zustand des Mangels. Bisherige Lösungsansätze sind häufig noch nicht zufriedenstellend und entsprechen nicht den Erwartungen. Im Ergebnis wünschen sich die Lehrerinnen, dass das Lernen und Lehren wieder möglich sei, Konflikte gelöst sowie Defizite ausgeglichen würden und alle wieder gerne zur Schule gehen.

Für das von den Lehrern angestrebte Ziel gibt es eine Vielzahl von lösungsorientierten Methoden und Programme, die darauf ausgerichtet sind Probleme in Fähigkeiten umzuwandeln. Ein Beispiel dafür ist der Ansatz von Ben Furman, der in seinem Buch “Ich schaffs” die Vorgehensweise beschreibt, wie wir Kinder dabei unterstützen können Schwierigkeiten konstruktiv zu überwinden. Diese wirkungsvollen Ansätze finden zunehmend Beachtung in schulischen Kontexten. Während bei diesen Programmen das Individuum im Zentrum der Intervention steht, wendet sich der WOWW-Ansatz dem Gesamtsystem “Klasse” zu.

Beim WOWW-Ansatz richten die Coaches und später die Lehrer ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf die vorhandenen Fähigkeiten, Kompetenzen und Potentiale der Schüler/innen. Es geht im Wesentlichen darum, das zu bezeugen, was an erwünschtem Verhalten bereits vorhanden ist, um dann mit dem zu arbeiten was funktioniert.

  1. Anwendung des WOWW-Ansatzes in der Klasse

Perspektive Klassenlehrerin

Um die Klasse zu verändern, wurde nun ein Coach eingeladen. Er schlug den WOWW-Ansatz mit dem Ziel vor, die Schüler in die Lage zu versetzen, aus sich heraus eine Lösung zu finden und somit selbst Verantwortung für ihr Verhalten zu übernehmen. Parallel dazu sollten die Lehrer mit lösungsorientierten Sichtweisen und mit dem WOWW-Ansatz vertraut gemacht werden. Ein Teil des Kollegiums ließ sich drauf ein. So fand erst eine eintägige Fortbildung zu dem Thema statt, und in der Folge wurde exemplarisch in meiner Klasse die Methode eingeführt. Mehrere Kollegen hospitierten dabei, um diesen Ansatz auch praktisch kennen zu lernen.

2.1 Das erste Coaching mit der Klasse

Perspektive Coach …